Zwangsräumung einer Familie in Berlin wird gegen Widerstand und Solidarität von Tausend Menschen brutal durchgesetzt

  • Februar 15, 2013 18:10
Pfefferspray-Einsatz durch die Polizei

Pfefferspray-Einsatz durch die Polizei

Am Morgen des 14.2.2013 ist die Familie G. mit einem Aufgebot von mindestens 400 Polizist_innen in Kampfausrüstung gegen den Widerstand von rund Eintausend solidarischen Menschen aus ihrer Wohnung in der Lausitzer Straße 8 in Berlin geräumt worden. Die Räumung war für 9 Uhr angesetzt – bereits vor 6 Uhr begann die Polizei sich vor dem Hauses zu postieren und die Straße mit Tretgittern abzusperren. Ein Hubschrauber kreiste über dem Haus. Trotzdem schaffen es viele solidarische Menschen, den Zugang zum Haus mit einer Sitzblockade zu blockieren. Diese wurde schnell von der Polizei umringt. Weitere Unterstützer_innen umringten ihrerseits die Polizei. Sprechchöre, Samba-Trommeln und von verschiedenen Leuten und Gruppen vorbereitete Verpflegung sorgten für gute Stimmung. Die Absperrungen der Straße mit Tretgittern und postierten Einheiten der Polizei mit Helm und Schlagstock wurde immer wieder von weiteren Menschen überwunden, und so wuchs die Menschentraube vor dem Haus stetig. Aus den benachbarten Häusern hingen solidarische Transparente, Essen und Getränke wurden an Seilen herunter gelassen, um die Unterstützer_inne vor dem Haus zu versorgen. Irgendwann verbreitete sich die Nachricht, dass von der an den selben Häuserblock angrenzenden Wiener Straße über einen Hof auch ein Zugang möglich sei. Auch dort sammelten sich Menschen zu einer Sitzblockade, die von der Polizei mehrfach mit Pfefferspray und Knüppeln angegriffen und letzten Endes aufgelöst wurde.

Die Gerichtsvollzieherin wird in in Polizeiuniform in das Gebäude geschmuggelt

Die Gerichtsvollzieherin wird in in Polizeiuniform in das Gebäude geschmuggelt (Photo von jungewelt.de)

Die Gerichtsvollzieherin wurde letzten Endes in eine Polizeiuniform gesteckt, eine Hoftür aufgebrochen und ein Zaun durchgeschnitten, um von Hinten in das Haus zu gelangen. Dies passierte kurz vor 9 Uhr, also noch vor dem der Familie G. angekündigten Termin. Kurze Zeit später war die Räumung vollzogen, aber auch ein sehr deutliches Zeichen gesetzt worden gegen Verdrängung und Eigentümerwillkür. Es wurde gezeigt, dass es massive Gewalt braucht, um die Profitinteressen eines Hausbesitzers gegen die Solidarität einer lebendigen Nachbarschaft und anderer Unterstützer_innen durchzusetzen. Der Polizeieinsatz hat mit Sicherheit mehrere zehntausend Euro gekostet, für André Franell aber war dieser Service kostenlos. Zwar ist es schwer bis unmöglich, auf dieser fast schon militärischen Eskalationsstufe Räumungen gegen die Staatsmacht zu verhindern, wird aber immer öfter Widerstand geleistet wie an diesem kalten Februarmorgen, dann könnte die Rechnung bald zu teuer werden – nicht nur die monetäre. Denn die stille Zustimmung zu einer Politik, die immer schamloser ausschließlich die Interessen des Kapitals schützt, und dabei die Menschen mit Füßen tritt, wird durch solche unüberhörbaren solidarischen Aktionen schwer erschüttert – gut so! Auf dass bei jedem Mal mehr Menschen da sind und zusammenhalten, wenn Einzelne getroffen werden – aber letztlich wir alle gemeint sind!

Nach dem die Räumung abgeschlossen war, zog ein Großteil der Unterstützer_innen mit einer lautstarken Spontandemonstration durch die Bezirke Kreuzberg und Neukölln. Die Polizei versuchte zwar immer wieder die Straßen dicht zu machen und Teile der Demonstration zu kesseln, aber die entschlossene Menge schaffte es immer wieder, an den bewaffneten Schergen des Staates vorbeizukommen. So gelang den frustrierten Beamten nur, mit großer Brutalität einzelne Leute herauszugreifen, sie zu Boden zu reißen, auf ihnen zu knien, die Arme zu verdrehen, ihnen mit ihren Handschuhen ins Gesicht und in die Augen zu greifen, den Kopf nach hinten zu reißen, sie anzubrüllen – das übliche Programm, auf das die Einheiten zur Unterdrückung politischen Protestes eben geschult werden. Mindestens 20 Leute wurden auf diese oder ähnliche Weise festgenommen, die Demonstration selbst konnte aber nicht aufgehalten werden. Auch am Abend gab es noch mindestens eine kleinere spontane Demonstration als Protest gegen die Räumung.

Auch wenn die Räumung nicht verhindert werden konnte, wurde ein klares Zeichen gesetzt. Mit den Worten des gerade frisch aus seiner Wohnung geräumten A.G.: Das war erst der Anfang!

Die Antwort auf Verdrängung muss immer wieder heißen: Solidarität und Widerstand!

Es wird Zeit, auch in Wien und anderswo etwas gegen Delogierungen und Verdrängung zu unternehmen!

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Zum Hintergrund

Die Familie G. wohnte seit 1999 der Lausitzer Straße 8. Sie haben viel Arbeit und Geld in die Renovierung ihrer Wohnung gesteckt, und hatten mit dem damaligen Eigentümer eine Vereinbarung für eine Kaufoption und über eine Nicht-Erhöhung der Miete. 2006 wurde das Haus zwangsversteigert an den Investor André Franell, der inzwischen auch in anderen Fällen von Verdängung bekannt geworden ist, zwangsversteigert. Dieser schickte damals allen Mietparteien eine Kündigung mit einer Frist von 14 Tagen. Diese hatte zwar rechtlich keinen Bestand, war aber eine Kampfansage an die Bewohner_innen, die in der Folge aufreibende Gerichtsprozesse führen mussten. Als nächstes kam eine saftige Mieterhöhung, der die Familie G. nicht zustimmen wollte und gegen die sie vor Gericht ging. Sie verloren und wurden Anfang 2010 verurteilt, die angehäuften Mietrückstände nachzuzahlen. In diese Zeit fiel ein Todesfall in der Verwandtschaft, wodurch sie die pünktliche Zahlung versäumten – ohne eine Mahnung wurde ihnen fristlos gekündigt. Das war seit 2006 durch eine Hauseigentümer_innen-freundliche Gesetzesänderung möglich gemacht worden. Rechtsmittel dagegen wurden eingelegt, aber sowohl vom Landesgericht als auch vom Bundesgerichtshof abgelehnt. Den vom Gericht für eine Schlüsselübergabe angesetzte Termin im Sommer 2012 ließ der Eigentümer verstreichen.

Letztlich wurde für den 22.10.2012 eine Zwangsräumung angesetzt. Die Gerichtsvollzieherin sah sich mit etwa mindestens 150 solidarischen Menschen konfrontiert, die sitzend oder stehend den Zugang zum Haus blockierten. Sie zog unverichteter Dinge wieder ab. Für den 12.12.2012 wurde der nächste Termin angesetzt. Diesmal wurde massiv öffentlich mobilisiert, um die Räumung zu verhindern, was offensichtlich Wirkung zeigte – der Termin wurde von der Gerichtsvollzieherin aus „formalen Gründen“ wieder abgesagt. Aus heutiger Sicht kann angenommen werden, dass einfach noch kein vollständiger Einsatzplan der Polizei vorlag, um die Räumung gewaltsam durchzusetzen.

 

Links zu Hintergrundinformationen, Artikeln und Videos  zur Zwangsräumung in der Lausitzer Straße 8